Markt - Arbeitsmarkt / Digitalisierung
Der Arbeitsmarkt ist ständig in Bewegung. Neue Branchen erstarken, alte Segmente schrumpfen oder sterben ganz ab. Welche Bedeutung nimmt die Digitalisierung in diesem Zusammenhang ein? Überwiegen ihre Gefahren oder ihre Chancen?
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Werden Roboter Menschen ersetzen? Diese Angst ist weit verbreitet. |
Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt sind für viele Menschen in unserem Land mit einer Vorerwartung von Verschlechterung verknüpft. Politische Diskussionen um Arbeitslosigkeit und eine etablierte Angst davor, nach dem Verlust einer Stelle nicht wieder in ein vergleichbares Arbeitsverhältnis einsteigen zu können, sind nur zwei Gründe für diese Haltung. In den vergangenen Jahren ging ein neues Gespenst um im Zusammenhang mit dem Arbeitsmarkt: Die Digitalisierung. Doch welche Gefahren birgt sie eigentlich wirklich? Und bietet sie nicht auch Chancen, mit denen Zukunft gestaltbarer und aufregender wird?
Zahlen und Experten
Beginnen wir mit ein paar Fakten. Der wichtigste Fakt ist, dass selbst die Experten keine zuverlässige Kristallkugel haben, um die kommenden Entwicklungen vorherzusagen. Es gibt zahlreiche Studien, die sich mit der Frage nach der Auswirkung der Digitalisierung auf den Arbeitsmarkt beschäftigen. Doch sie alle müssen sich auf eine schwache Zahlenbasis stützen. Die Erfahrungen der letzten Jahre bilden weder einen hinreichend langen Zeitraum ab noch spiegeln sie die Branchen der deutschen Wirtschaft in ausreichend breiten Erhebungen wider. Letztlich erreicht jede Studie dieser Art den Punkt, an dem der Experte seine persönliche Einschätzung in die Argumentation einbringen muss. Und an diesem Punkt scheiden sich die Geister.
Entweder wird die Einschätzung optimistisch ausfallen, also zugunsten der Beschäftigungslage, oder pessimistisch, also zu ihrem Nachteil. Im internationalen Vergleich weist die Mehrheit der deutschen Studien eine optimistische Tendenz auf. Doch wie lassen sich die eine wie die andere begründen?
Eine pessimistische Prognose geht davon aus, dass die Digitalisierung durch automatisierte Prozesse mehr Arbeitsplätze vernichten wird, als dass sie neue für vergleichbar qualifizierte Arbeiter schafft. Die Angst ist vor allem, dass eine Verlagerung hin zu hoch qualifizierten Tätigkeiten passiert und die geringer Qualifizierten ersatzlos auf der Strecke bleiben. In diesem Sinne argumentierte erst im Februar die Frankfurter Allgemeine Zeitung im Anschluss an Angaben des IT-Branchenverbandes Bitkom. Eine vergleichende Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln (IWD) allerdings zeigt, dass eine solche Entwicklung gegenwärtig nicht zu erkennen ist. Ähnlich berichtet auch die WirtschaftsWoche, der exklusiv die neue Fassung der IWD-Studie vorliegt.
Digitale Fachkräfte prägen das Morgen
Unleugbar werden in Zukunft die sogenannten MINT-Berufe weiter an Bedeutung zunehmen. Die Abkürzung steht für die Bereiche Mathematik, Informatik, Natur- und Ingenieurwissenschaft und Technik. Hier werden die Entwickler und Koordinatoren der Zukunftstechnologien mit gehobener und hoher Qualifikation ausgebildet. Entscheidende Stellen werden jedoch auch die Arbeiter einnehmen, die die Systeme bedienen, mit Informationen füttern und an den richtigen Stellen zum Einsatz bringen. Und je besser ein digitales System arbeitet, desto leichter sind durch Fortbildungen und Umschulungen die notwendigen Fachkräfte auszubilden.
Dazu kommt, dass die Umwälzungen in der Industrie schon seit Jahren im Gange sind und einen fließenden Übergang bilden. Das Stichwort Industrie 4.0 suggeriert zwar, dass hier die großen Veränderungen stattfinden, tatsächlich aber steht der Dienstleistungssektor vor noch größeren Aufgaben. Zu ihm gehören immerhin knapp Dreiviertel der in Deutschland Beschäftigten. Die Frage danach, welche Prozesse automatisiert oder gar robotisiert werden sollen und welche den persönlichen Kontakt von Angesicht zu Angesicht brauchen, ist gegenwärtig vollkommen offen. Vieles steht auf dem Prüfstand. Jedoch gilt hier wie stets in gesellschaftlichen Veränderungen, dass die Macht zur Gestaltung bei den Menschen liegt. Die Digitalisierung nur sozusagen über sich ergehen zu lassen, wäre der erste dicke Sargnagel der Zukunft. Kleine und mittlere Unternehmer sind daher gefragt, die Modernisierungen proaktiv anzugehen und verantwortlich zu gestalten, sowohl im Sinne der Wirtschaft als auch ihrer Menschen.
Wie eine Studie des Mannheimer Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) zeigt, die das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) 2015 in Auftrag gegeben hatte, sind die Prognosen für die Automatisierbarkeit des deutschen Arbeitsmarktes durchaus überschaubar. Nach Schätzung der Experten sind gerade einmal 12 % der Tätigkeiten im deutschen Wirtschaftsraum mittelfristig durch selbst laufende Technik zu ersetzen. Das größte Automatisierungspotential liegt dabei gegenwärtig in den verwaltenden Dienstleistungen, zu denen auch die öffentlichen Behörden zählen, und im Finanzsektor.
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Durch digital gesteuerte Betriebsabläufe werden Ressourcen für andere Bereiche frei. |
Wichtig ist bei dieser Art von Schau ins Übermorgen, die Tätigkeiten und nicht die vorhandenen Stellen in den Blick zu nehmen. So ist es durchaus vorstellbar und wahrscheinlich, dass sich in vielen Arbeitsverhältnissen die Aufgaben mit der Dauer wandeln werden. Schon heute sind viele hoch qualifizierte Akademiker etwa nicht in dem Bereich tätig, den sie eigentlich studiert haben. Dass es allerdings für die Arbeitskraft ersatzlos keinen Bedarf mehr geben wird, hält die Mehrheit der Studien für unwahrscheinlich.
Fortschritt durch Innovation
Auch ein Blick auf die Geschichte hilft, ein besseres Verhältnis zu den ohne Zweifel anstehenden Veränderungen unserer Arbeitswelt zu bekommen. Als erstes Merkmal der industriellen Revolution galt im England des 18. Jahrhunderts die Spinning Jenny. Diese Spinnmaschine konnte mit der Muskelkraft einer Arbeiterin vier bis acht einzelne Spinnräder ersetzen. Mit der Erfindung der Dampfmaschine verbanden sich ebenso neuerliche Ängste wie mit dem Einsatz motorgetriebener Landfahrzeuge noch in den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts. Die Erfahrung zeigt jedoch, dass die Umstrukturierungen, die dem technischen Fortschritt folgten, nicht zu einem Verlust, sondern zu einem enormen Ausbau von Wohlstand und Lebensqualität in den betreffenden Gesellschaften führte.
Gleichwohl ist die Politik dazu aufgerufen, sich intensiv mit der Thematik zu beschäftigen und Vorsorge zu treffen, damit nicht etwaige Nischenqualifikationen in der Arbeitslosigkeit enden. Sie muss die Institute der Wissenschaft, der Wirtschaft und die Gewerkschaften mit ins Boot holen, um mutig gemeinsam die Zukunft zu gestalten. Denn auch hier wäre die Angst der schlechteste Ratgeber.
Digitalisierung — für die Menschen
Die Chancen einer digitalisierten Arbeitswelt können helfen, die Erwartungen ins Gleichgewicht zu bringen. So steht unsere Gesellschaft erstmals an der Schwelle zur breiten Einsatzmöglichkeit von Homeoffice. Die Vereinbarkeit von beruflichem und privatem Leben könnte hierdurch eine signifikante Verbesserung erfahren. Auch profitieren Organisationsstrukturen und der gesamte Bereich des Journalismus, der Wissenschaft und öffentlichen Meinung von einem hohen Maß an Digitalisierung. Kleine und mittlere Unternehmer werden mit modernen Systemen ihre Teams leichter und effizienter koordinieren können. Zugleich wird die Last der Bürotätigkeit, die viele vor allem kleine Unternehmer oft nach Ende des Tagesgeschäfts unter großem persönlichen Einsatz erledigen müssen, innerhalb der nächsten Jahre deutlich gemindert werden können. Voraussetzung hierfür ist, dass die Politik mitzieht.
Zugleich verlangt eine digitalisierte Welt nach größerer persönlicher Verantwortung derer, die die Systeme nutzen. Obwohl die IWD-Studie belegt, dass bisher keine Auswirkungen der Digitalisierung auf die psychische Gesundheit der Menschen in unserem Land zu erkennen sind, gibt es auch kritische Stimmen, die auf die Notwendigkeit analoger Elemente im Leben eines Menschen hinweisen: Körperlicher Ausgleich, Wahrnehmung der natürlichen Lebensumgebung, persönliche Kommunikation. Ob die Körperhaltung gerade junger Menschen über ihren Smartphones zu gehäuften Haltungsschäden führen wird, bleibt abzuwarten. Andererseits haben Mobilität und Social Networking (Facebook, Twitter und Co.) mit dem Datenmarkt eine ganz neue, wirtschaftlich hoch relevante Branche erschlossen.
Ein offenes Auge ist sicherlich die richtige Wahl für die vor uns liegenden Entwicklungen im Bereich der Digitalisierung. Weder eine Haltung, die nur Gutes in dem Neuen sieht, noch ein rückwärtsgewandtes Zaudern können die unternehmerische wie persönliche Zukunft eines Landes produktiv gestalten. Die Träger unserer Gesellschaft, zu denen auch die Unternehmen der Wirtschaft zählen, sind dazu aufgerufen, gemeinsam das richtige Maß für die anstehenden Prozesse zu finden. Damit auch morgen noch eine Kastanie vor meinem Fenster blüht. Deren Bild ich dann aus lauter Freude mit all meinen Freunden und der ganzen Welt teilen kann.
Quellen
- Studie des IWD Köln (2016) | PDF-Download
- IWD: Digitalisierung: Daten sind das neue Öl
- Artikel der faz „Digitalisierung zerstört 3,4 Millionen Stellen“
- Artikel der WirtschaftsWoche „Digitalisierung vernichtet doch nicht massenweise Jobs“
- Studie der Konrad-Adenauer-Stiftung (2017) | PDF-Download
- Studie des ZWE im Auftrag des BMSA (2015) | PDF-Download
- Studie des ZEW zur Zukunft der Arbeit (2018) | PDF-Download