Förderlandschaft - Förderprogramme
Er gilt als der Urvater aller modernen Förderprogramme: Der Plan des US-Außenministers Marshall zum Wiederaufbau Europas nach dem Zweiten Weltkrieg. Doch was kann die heutige Wirtschaft daraus lernen?
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Seit über 50 Jahren besteht und wirkt der Marshallplan auf die europäische Förderlandschaft. |
Mit dem Marshallplan erfanden die USA eine ganz neue Form von Einflussnahme auf internationale Wirtschaftsräume. Sie prägten dabei ein System, das bis heute nicht anders funktioniert als Ende der 1940er Jahre. Wer die Förderlandschaft verstehen will, kommt darum am Marshallplan nicht vorbei. Wie kam er zustande?
Freunde sind besser als Feinde
Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges lagen weite Teile Europas in Trümmern. In Deutschland waren die Infrastruktur, zahllose Wohngebiete und nicht zuletzt die staatliche Verwaltung insgesamt zusammengebrochen. Nun standen die Siegermächte vor der Frage: Was tun mit dem geschlagenen Aggressor?
Während Frankreich auf eine Politik der Wiedergutmachung drängte, wie sie im Versailler Vertrag nach dem Ersten Weltkrieg zur Anwendung gekommen war, erkannten die USA darin eine große Gefahr. Nicht zuletzt die harten Forderungen dieses Kapitulationsvertrags und der dadurch verletzte Nationalstolz hatten dazu geführt, dass sich Deutschland aus der Weimarer Zeit heraus bis zur Machtergreifung der Nationalsozialisten zunehmend radikalisierte.
Der damalige US-Präsident Harry S. Truman holte sich deswegen einen gleichermaßen bewährten wie einfallsreichen Experten als Außenminister an seine Seite: Den 5-Sterne-General George C. Marshall. Gemeinsam verfolgten die beiden Staatsmänner statt des Abbruchs Deutschlands nun eine Politik des Wiederaufbaus und der Hilfsbereitschaft.
Freunde sind auch nützlicher als Feinde
Das geschah nicht uneigennützig: Die insgesamt über 12 Mrd. US-Dollar (in heutigem Gegenwert etwa 130 Mrd.), die der Kongress der Vereinigten Staaten von Amerika 1948 für das European Recovery Program (ERP) bewilligte, half zwar dem gesamten Wirtschaftsraum Europa, insbesondere England, Deutschland, Frankreich und Italien, vorrangig aber Amerika selbst.
Durch die überlegene Militärmacht und die geographisch relativ isolierte Stellung des Landes war die amerikanische Wirtschaft den ganzen Krieg hindurch intakt geblieben. Die Produktion lief gut. Sie lief zu gut: Der eigene Markt war mehr als gesättigt, die Absatzmärkte insbesondere in Europa allerdings waren fast vernichtet. Wollte die Produktions- und Exportwirtschaft der USA überleben, mussten genau diese europäischen Märkte wiederhergestellt werden.
Mythos Marshallplan?
Heute wissen wir, dass das umfangreiche Konjunkturprogramm der USA vor allem eine indirekte Hilfeleistung darstellte, die den Empfängerstaaten vorrangig Zeit und Kapital gewährte, jedoch keine Subventionen nach Europa pumpte.
Wie konnten dann aber 80 % der ERP-Gelder in Subventionen fließen? Diese Förderungen blieben im eigenen Land. Vor allem amerikanische Farmer profitierten von den Hilfeleistungen. Ihre Produkte, zunächst und hauptsächlich landwirtschaftliche Erzeugnisse und Maschinen, wurden dann als Güterhilfen nach Europa exportiert. In Deutschland kauften die Händler solche Produkte für die gerade frisch eingeführte Deutsche Mark. Diese Gelder flossen dann an die ebenfalls erst Ende 1948 ins Leben gerufene KfW, die Kreditanstalt für Wiederaufbau.
Die KfW verwaltete diese Gelder in Fonds, aus denen sie dann Bau- und Investitionskredite vergeben konnte. Die deutsche Fördermittelkultur war geboren. Nach Erkenntnissen heutiger Wirtschaftshistoriker hatten die hier integrierten ERP-Gelder allerdings nicht die wirtschaftlichen Auswirkungen, die die Öffentlichkeitsarbeit der USA damals suggerierte. Tatsächlich gehen einige Experten davon aus, dass die deutsche Wirtschaft sich durch die ERP-Mittel kaum mehr als 1 - 2 Jahre schneller erholte.
Denn: Die deutsche Industrie war weitaus weniger beschädigt, als die medialen Berichte den Anschein gaben. Im Wesentlichen stemmte die geschlagene Nation den Wiederaufbau aus ihren eigenen Kräften und Ressourcen, freilich aber nur, weil diese ihr durch die Siegermächte gelassen wurden. So kam es, dass sich die deutsche Wirtschaft bereits 5 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs so gut erholt hatte, dass sie besser dastand als zuvor. Dies lag nicht zuletzt daran, dass auch die deutsche Maschinenindustrie sich schnell wieder erholen durfte. Durch die gesamteuropäische Wirkung der ERP-Hilfenstabilisierten sich auch die Absatzmärkte für deutsche Produkte schnell wieder und Deutschland gewann den Status der Ausstatter Europas zurück.
Ein zweigeteiltes Europa
Für die gesamtwirtschaftliche Entwicklung Europas darf der Marshallplan daher keineswegs unterschätzt werden. Zwar ist es wahr, dass die Hilfen der USA zunächst die faktische Teilung Europas in einen liberal-kapitalistischen Westen mit den Idealen des American Dream und einen kommunistischen Osten bedeuteten, der von den Sowjets dominiert wurde. In diesem Sinne ist klar: Wenn bis hierher von Deutschland die Rede war, sind damit zunächst die drei westlichen Besatzungszonen, dann die 1949 gegründete Bundesrepublik Deutschland gemeint. Kein unter dem Einfluss des Ostens stehender Staat konnte, wollte oder durfte auf Anordnung Josef Stalins ERP-Hilfe in Anspruch nehmen.
Und dennoch: Heute stünde Europa nicht als geeinter, dynamischer Wirtschaftsraum da ohne die Maßnahmen des Marshallplans. Über die Motive der Amerikaner und deren ethische Beurteilung kann man geteilter Meinung sein. Fakt ist jedoch, dass gerade Westdeutschland aus den Mitteln und der Öffentlichkeitsarbeit der USA eine Vitaminspritze erhielt, die weit mehr wert war als alle Milliarden. Die in den Augen der Bevölkerung erlebte Großzügigkeit und Freundschaft der Siegermacht weckten Mut, Hoffnung und neue Energien.
America sells
Die Marketingmaßnahmen, die für jenen guten Ruf des Marshallplans sorgten, der weit über dessen tatsächlichen Einfluss hinaus und bis in unsere Zeit fortbesteht, waren gewaltig.
Züge fuhren durch Europa, die die Freundschaft der Amerikaner verkündeten. Plakate warben für ein in Freundschaft geeintes Europa, das stärker aus den Trümmern des Krieges emporsteigt denn je. Gebäude und Unternehmen, die von der indirekten Förderung des ERP profitiert hatten, trugen Plaketten mit dem Slogan „Zur Stärkung der freien Welt“ in Stars and Stripes und der Botschaft „Hier half der Marshallplan“. Der Kommunismus wurde als rückständiger, auf Isolation bedachter Gegner gezeichnet, wie umgekehrt der Osten den Kapitalismus als Feind eines besseren Menschengeschlechts darstellte.
Die Westdeutschen waren unter der Maßgabe dieser Aussagen seit 1948 nicht länger die Geschlagenen, die das Joch ihrer Besatzer trugen. Sie fühlten die starke, freundschaftlich ausgestreckte Hand des Siegers, die sie emporzog aus den Trümmern. Letztlich ist es daher egal, ob diese Hand wirklich der maßgebliche Faktor für das kommende Wirtschaftswunder war. Dass genau dieser Boom in der BRD ausbrach, hatte vor allem mit der Stimmung zu tun, die die Amerikaner im Land erzeugt hatten. Im Grunde störte es so auch niemanden, als in den 50er Jahren die Adenauer-Regierung die faktischen Schulden in Cent und Dollar an die USA zurückzuzahlen begann. Wichtiger als das Geld war der wiederhergestellte Glaube der Deutschen an sich selber.
Im Zusammenhang mit dem ERP halfen deswegen die USA der BRD maßgeblich zurück in die Gemeinschaft der Völker. Sie vermittelten zwischen dem ehemaligen Erzfeind Frankreich und Deutschland. Sie gaben den ehemaligen Kriegsgegnern das Gefühl, ein Partner auf Augenhöhe zu sein. Und sie erschlossen und sicherten sich damit die wirtschaftlich starken, westeuropäischen Märkte bis in unsere Zeit.
Der Marshallplan: Freundschaft oder Kalkül?
Die Antwort muss lauten: Sowohl als auch. Es besteht kein Grund, daran zu zweifeln, dass die amerikanische Hilfe zu einem Gutteil aus demokratischen, freiheitlichen Werten geboren wurde. Diese Werte verbanden Truman und Marshall mit dem für ihren Staat Nützlichen.
Im Grunde hat sich dieses Wechselverhältnis von dem Willen, Gutes zu tun, und dem Interesse an einer starken Wirtschaft bis in unsere Zeit nicht geändert.
Förderprogramme aus dem öffentlichen Sektor verfolgen auch heute in Deutschland dasselbe Prinzip: Selbstverständlich wollen sie einerseits den Einzelnen ermutigen, seine unternehmerischen Zielsetzungen zu verfolgen. Genauso selbstverständlich sollen sie der Gesamtwirtschaft zu Wachstum verhelfen und sie zugleich stabilisieren.
Wer den Amerikanern Ende der 1940er Jahre vorwirft, sie hätten ihre eigenen Interessen in Europa verwirklicht, der verkennt das Wesen einer kapitalistischen Wirtschaft überhaupt. Jeder Wert entspricht hier einem Gegenwert, jeder Handel stellt einen Vertrag dar, von dem alle Seiten sich einen wesentlichen Vorteil versprechen, eine Hand wäscht die andere.
Die USA haben mit dem Marshallplan wirtschaftlich gedacht. Aber gerade diese Denkfigur hat Europa zu der Entwicklung verholfen, die es in den kommenden Jahrzehnten bis heute genommen hat. Eine nicht wirtschaftliche, sondern etwa nationale oder von Stolz und Überlegenheitsdenken geprägte Politik, wie sie im Morgenthau-Plan vorgedacht war, hätte Deutschland nie wieder ermöglicht, sich wirtschaftlich und damit auch kulturell zu erholen.
Wer das Prinzip versteht, beherrscht die Lage
Aus der Geschichte des Marshallplans kann jeder heutige Unternehmer viel lernen, wenn es um seine Fördermittel geht. Es muss ihm klar sein, dass keine Fördergelder, egal ob Zuschüsse, Subventionen oder Darlehen, ein uneigennütziges Geschenk der öffentlichen Hand darstellen. Der Staat hat ein Interesse an einer bestimmten Entwicklung seiner Wirtschaft. Diese Interessen zu erkennen, kann eine wichtige Voraussetzung für die erfolgreiche Generierung von Fördermitteln sein.
Förderprogramme „denken“ ganz ähnlich wie ihrerzeit Truman und Marshall. Sie fragen gleichermaßen nach dem Erfolgspotenzial für das geförderte Unternehmen und nach dem Nutzen der Förderung für die Gesamtwirtschaft. Wenn etwa der Mittelstand gezielt und zu besonders günstigen Konditionen gefördert wird, ist dies kein Akt der Barmherzigkeit, sondern ein Ausdruck davon, dass in seinen Strukturen eine wichtige Komponente unseres Wirtschaftssystems erkannt wird, die langfristig für die Gesundheit von Wettbewerb und Innovation unerlässlich ist.